Digitale Transformation für mittelständische Unternehmen – Interview mit CEO Frank M. Bruns

  • September 25, 2020

Wir haben uns mit dem langjährigen CEO internationaler Unternehmen Frank M. Bruns über die Vorteile, Risiken und häufigsten Fehler bei der Umsetzung der digitalen Transformation unterhalten: Warum es für die Geschäftsführung so wichtig ist, den Datenschatz ihres Produktionsunternehmens zu heben, an was Projekte in der digitalen Transformation oft scheitern, wie sie besser laufen, auf welche Faktoren es dabei ankommt und was die Vorteile für die Geschäftsführung sind.

Herr Bruns, sind wir denn nicht schon längst digital?

Das könnte man sicherlich einfach mit „ja“ beantworten. Unsere Welt ist in den letzten Jahren sehr schnell und stetig digitaler geworden. Das steht fest. Derzeit erleben wir aus meiner Sicht einen richtigen Digitalisierungsschub. Jedoch sollten wir etwas umsichtiger mit dem mittlerweile inflationär verwendeten Begriffen „digital“ und vor allem „Digitalisierung“ umgehen, da viele von uns ein unterschiedliches Verständnis von Digitalisierung haben. Laut Definition bedeutet Digitalisierung die Umwandlung von analogen Inhalten oder Prozessen in eine digitale Form und Arbeitsweise. Digitale Technik verarbeitet und übermittelt Informationen.

Ich habe mich in meinen Unternehmen bereits in den 80ern und 90ern des letzten Jahrhunderts mit digitalen Veränderungsprozessen beschäftigt. Wenn ich den damaligen Stand mit dem heutigen Stand der Technologie und der immer schneller werdenden Entwicklung unserer IT Landschaften und Rechnerkapazitäten vergleiche, dann sind wir längst digital. Im Endeffekt ist Digitalisierung nicht neu, sondern entwickelt sich immer weiter und in allen Bereichen unseres Lebens ist die voranschreitende Digitalisierung unaufhaltsam.

Trotzdem sind wir uns – gerade industriell – nicht der wirklichen Potenziale inkl. aller Vor- und Nachteile bewusst. Hier bedarf es noch an Aufklärungsarbeit.

Würden Sie als CEO sagen, dass die Digitalisierung wirklich effizienzsteigernd ist?

Erwiesen ist, dass sich nicht alle Prozesse sinnvoll digitalisieren lassen und nicht jeder automatisierte Prozess besser als ein manueller ist. Digitalisierung sollte aus meiner Sicht nicht als Modeansatz eingeführt werden – etwa, weil es andere machen oder es in den Medien angepriesen wird. Um die Wettbewerbsfähigkeit zu halten oder auszubauen, steht neben neuen Produkten und neuen Geschäftsmodellen die Automatisierung der Prozessabläufe im Vordergrund. Nicht nur in der Produktion, sondern auch in der Administration. Erst die Digitalisierung ermöglicht es uns, die Automatisierung kontinuierlich fortzusetzen. Das Potenzial aus und mit der Digitalisierung sollte für Unternehmen somit auch zu nachhaltigen organisatorischen und ergonomischen Verbesserungen und letztlich zu einer erhöhten Wertschöpfung führen.

Die sogenannte vierte industrielle Revolution oder Industrie 4.0 nimmt aus meiner Sicht eine Schlüsselrolle im Zeitalter der Digitalisierung ein. Im Mittelpunkt der Industrie 4.0 steht das intelligente Produkt, das alle für die Produktion erforderlichen Informationen beinhaltet und somit in der Lage ist, mit Maschinen und Planungssystemen zu kommunizieren – bis zur autonomen Steuerung der Produktion. Menschen, Maschinen und Produkte sind über das Internet direkt miteinander vernetzt. Teilweise ist das noch Vision, teilweise aber auch schon Realität.

Diesen Ansatz sehe ich als wirklich große Chance, Unternehmen neu zu positionieren. Ganz speziell durch die Digitalisierung und Automatisierung der Produktion eine neue Qualität zu ermöglichen und natürlich auch die Kostenstruktur deutlich zu verbessern.

Letztendlich stellt uns Digitalisierung ja aber auch vor soziale, wirtschaftliche und politische Herausforderungen. Sind das Faktoren, die uns bremsen?

Es gibt immer Chancen und Risiken. Die Digitalisierung und eine erhöhte Automatisierung führen sicherlich auf der einen Seite zu Verlusten von Arbeitsplätzen in einer traditionellen Produktion. Sie schaffen aber auf der anderen Seite auch neue Arbeitsplätze, die anders aussehen werden und auch einen anderen Inhalt haben. Hier gilt es, die Menschen, die vermeintlich ihren Arbeitsplatz verlieren, weiter zu qualifizieren, um den neuen Herausforderungen gerecht zu werden. Hier ist die Aufgabe der Unternehmen in erster Linie, dass die Mitarbeiter, die zur Disposition stehen, angelernt und weitergebildet werden. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass fast alle Mitarbeiter Aufgaben aus der Digitalisierung übernehmen können.

Wir reden ja jetzt schon über mehrere Jahrzehnte hinweg über das Thema Digitalisierung. Warum dauert die Umsetzung in den einzelnen Bereichen teilweise so lange?

Es ist immer schwer zu sagen, was die Gründe in einzelnen Unternehmen sind. Aus meiner Sicht gibt es hier mehrere Hürden, die bewältig werden müssen:
Digitalisierung ist für mich Chefsache. Die Unternehmensführung ist für die Digitalisierung verantwortlich, nicht der CIO, der IT Leiter oder sonst jemand. Es braucht geeignete Kompetenzen in der Chefetage, digitale Innovatoren; eine neue digitale Kultur von „Hands On“ Typen, Machern und Pragmatikern auf C-Level und Führungsebene, die nicht nur das eigene Geschäftsmodell, sondern auch das Geschäftsmodell des Kunden und des Marktes verstehen und erkennen, auf welche Themenbereiche sich das Unternehmen fokussieren sollte, welche Kompetenzen und Ressourcen wirklich benötigt werden.

Unternehmen sollten sich nicht nur auf die IT Industrie oder deren Angebote verlassen und auf wohlklingende Buzzwords reinfallen, sondern ihre eigene Sichtweise zu Digitalisierung erarbeiten, sie verstehen und in ihrer Unternehmensstrategie verankern. Selber machen und sich nicht auf Dritte verlassen ist ein wichtiger Punkt, um erfolgreich zu sein. Dritte lieber als Berater oder Sparringspartner einbeziehen.

Kundenzentrierung ist das A und O: Bei der Digitalisierung geht es nicht nur darum, Produkte weiter zu optimieren, sondern primär das Problem des Kunden zu lösen. Nicht das beste Produkt entscheidet, sondern der kompetente und schnelle Problemlösungsservice.

Das alles setzt voraus, dass ein Unternehmen neben einer Vision und einer Mission ein eindeutiges Geschäftsmodell, Unternehmensziele und eine ganzheitliche Geschäftsstrategie benötigt. Sozusagen eine Beschreibung des Weges zur Zielerreichung. Eine rationale Sicht auf erreichbare und realistische Potenziale ist generell unerlässlich.

Was sind denn Ihrer Meinung nach die Erfolgsfaktoren für eine Digitalisierungsstrategie?

Digitalisierung ist keine operative, sondern eine strategische Aufgabe und damit Chefsache. Der Chef gibt das Ziel vor und lebt Digitalisierung – das ist für mich einer der Erfolgsfaktoren. Außerdem erfordert digitale Transformation eine neue Unternehmenskultur. Aber Achtung: Dennoch ist eine Balance zwischen Tradition und Moderne zu erhalten, da das Unternehmen, bei allem was an Digitalisierung sicherlich interessant ist, zunächst weiterhin profitabel arbeiten muss. Die neue Kultur erfordert Umdenken, erfordert neue Typen im Management und erfordert auch Freiräume im Denken und Handeln sowie Vorurteile abzulegen und unvoreingenommen interdisziplinär und interstrukturell zu agieren. Denn die Arbeitswelt wird immer flexibler werden.

Im Fokus sollte auch nicht mehr das Produkt, sondern der Lösungsansatz für den Kunden stehen. Natürlich müssen Sie Ihr Produkt weiter optimieren, aber primär geht es darum, Kundenzufriedenheit zu erzielen und den Kunden das Problem abzunehmen. Die Herausforderung liegt hier im integrierten Service mit ganz klarem Fokus auf dem Vertrieb. Der Verkauf von Produkten mit gezielter klassischer Werbung war gestern, wenn nicht vorgestern, und heute steht eben der digitale Service im Vordergrund. Der Kunde will möglichst in Echtzeit sehen, wo sein Produkt ist. Der digitale Service ist bereits und wird noch viel stärker der USP vieler Firmen sein.

Industrie 4.0 nimmt eine Schlüsselrolle ein und sollte entsprechend so professionell ausgerollt werden, dass vorstandsgerecht kommuniziert wird. Was ist Industrie 4.0? Was erzielen wir damit? Ganz wichtig ist, Prozesse erst zu digitalisieren, wenn diese „aufgeräumt“ sind. Prozesse, die unrund laufen, zu digitalisieren macht aus meiner Sicht wenig Sinn. Dann ist es wichtig, die Prozesse intern zu vernetzen, bestmöglich einzubinden und Technik und Organisation ganzheitlich zu betrachten, um sich kontinuierlich zu verbessern. Digitalisierung darf nie isoliert betrachtet werden. Zu Guter Letzt ist Lean Management hier wirklich die perfekte Methode, die digitale Transformation sehr gut und einfach darzustellen und umzusetzen.

Das wichtigste ist: Digitalisierung darf nicht zum Selbstzweck werden, denn das Ziel ist weiterhin die höchstmögliche Wertschöpfung für den Kunden und das Unternehmen zu erzielen.

 

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